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Bremen

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»Welcome to New York« sang Taylor Swift, während ich meine Laufschuhe schnürte. Und irgendwie war es das für mich, mein winziges New York an der Weser; mein Neuanfang nach einem viel zu langem Studium in Braunschweig, das ich durch einen Auslandsaufenthalt und ein Praktikum unglücklicherweise nur noch verlängert hatte, als zu verkürzen. Schon seit meinem ersten Semester hatte ich es bereut, für das Studium in meiner Heimatstadt geblieben zu sein, denn Braunschweig war provinziell. Braunschweig war so provinziell, dass ich (ohne es zu merken) freiwillig nachts vor roten Ampeln stehen blieb. Braunschweig war so provinziell, dass meine Freunde nächtelang im Atelier rumhingen und sich dort betranken, weil es keine Bar, keine Kneipe gegeben hätte, in der man zu dieser Uhrzeit stattdessen hätte rumhängen können. Die Provinz hatte aber auch ihre schönen Seiten. Zum Beispiel, wenn wir uns auf unseren Bürgersteig vor unser Haus setzten, um im Schein der Straßenlaterne Backgammon zu spielen oder wenn ich auf der einzigen illegalen Outdoor-Rave der Stadt alle meine Bekannten traf, ohne dass wir uns je dazu verabredet hätten. Überhaupt Freunde zu haben, die im Gegensatz zu den geschäftigen Großstädtern immer Zeit hatten, um mit mir ganze Tage zu vertrödeln, das war ein großes Glück.
Nun also Bremen. Ich hatte meine Flucht aus Braunschweig genau geplant. Ich war 25 und spazierte hochmotiviert in mein neues Leben – obwohl, irgendwie noch nicht so ganz, weil es tatsächlich einfacher gewesen war, mir zwei verlockende Studienplätze und ein Jobangebot zu organisieren, als ein WG-Zimmer in dieser Stadt.
Und dazu sang Taylor »Welcome to New York«, die wohl schlechteste New-York-Hymne dieses Jahrtausends, das war mir aber herzlich egal, denn der überproduzierte Popsound passte perfekt zum Takt meiner Füße. Neue Stadt, neue Kommilitonen, neue Uni, neue Laufstrecke. Und Bremen war auch für ungefähr vier Monate ein kleines, linkes, dreckiges, anonymes New York, in dem ich alles ausprobieren konnte, wovon ich schon so lange geträumt hatte (allein auf Partys gehen, mich unter Fremden peinlich benehmen, nachts in Bars rumhängen anstatt im Atelier). Dann bemerkte ich aber ziemlich schnell, dass ich auch hier alleine auf Partys gehen konnte und dort trotzdem alle meine neuen Bekannten traf, ohne dass wir uns je dazu verabredet hätten. Bremen schrumpfte in gewisser Weise rasant in sich zusammen (und war natürlich in gewisser Weise auch nicht weniger provinziell). Aber das war mir ebenfalls egal, und bald lockte ich meine besten Freunde in die Stadt, um es mir noch ein bisschen gemütlicher zu machen. Das nasse und zusammengeschrumpfte Bremen war gerade aus diesem Grund ziemlich schnell zu einem Zuhause geworden.
»Nothing lasts forever«, singt Taylor Swift auf ebendiesem Album, das ich in dieser Zeit so oft zum Joggen hörte. Denn Gemütlichkeit hat etwas Trügerisches und ist sehr vergänglich, und das Blöde an den Zwanzigern ist, dass sich alles innerhalb weniger Momente rasend schnell verändern kann, wenn plötzlich ein neues verlockendes Jobangebot in deinem Posteingang liegt.
Ich vermied es in meinen letzten Tagen, das Wort »Abschied« überhaupt in den Mund zu nehmen. Meinen Abschiedsabend nannte ich »ein Fest für neue Anfänge und alte Freunde«. Vielleicht war das nur ein Schutzmechanismus, um das Neue noch nicht so nah an mich heranzulassen, weil ich irgendwie noch nicht realisiert hatte, dass ich meine Freunde, die ich zum Teil ja selbst in diese Stadt gelockt hatte, jetzt zurücklassen musste.
Ich war schon aus vielen Städten weggezogen, hatte mich schon oft verabschiedet. Ich lebte diesen Millenial-Lifestyle mitunter auch mit großer Freude aus, denn jeder Abschied war anders. Aber dieser fühlt sich zum ersten Mal anders an, nicht ganz so endgültig wie sonst.

Der Beitrag Bremen erschien zuerst auf »Die Zielgruppe bin ich.«.


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